H. F. Haefele u.a. (Hg.): Ekkehart IV. St. Galler Klostergeschichten

Cover
Titel
Ekkehart IV. St. Galler Klostergeschichten.


Herausgeber
Haefele, Hans F.; Tremp, Ernst
Reihe
Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim edit (82)
Erschienen
Wiesbaden 2020: Harrassowitz
Anzahl Seiten
688 S.
von
Alois Niederstätter

Dass ein Editionsvorhaben 65 Jahre nach der Erteilung des Auftrags erfolgreich abgeschlossen wird, ist wohl nur im Rahmen einer so traditionsreichen Institution wie der MGH denkbar. Nachdem sich zunächst der Historiker Hanno Helbling (1930–2005) mit der Neuausgabe der um die Mitte des 11. Jahrhunderts entstandenen St. Galler Klostergeschichten Ekkeharts IV. – der von 884 bis 972 reichenden Fortsetzung von Ratberts «Casus sancti Galli» – betraut worden war, widmete sich in weiterer Folge der Altphilologe Hans Frieder Haefele (1925–1997) dieser Aufgabe. Nach dessen Tod übernahm der St. Galler Stiftsbibliothekar Ernst Tremp das zwar weit fortgeschrittene aber noch nicht beendete Projekt und brachte es unter massgeblicher Mitarbeit der Philologin Franziska Schnoor zum Druck. Es verdient grosse Anerkennung, dass auf diese Weise das Lebenswerk eines anderen mit viel Feingefühl vollendet wurde.

Lang ist auch die Rezeptionsgeschichte des Textes, der als eines der berühmtesten Geschichtswerke seiner Zeit gilt. Eine erste Edition besorgte Melchior Goldast (1578–1635) bereits 1606, eine zweite (MGH, Scriptores 2) steuerte 1829 der St. Galler Archivar und Stiftsbibliothekar Ildefons von Arx (1755–1833) bei, eine dritte im Jahr 1877 der Zürcher Historiker Gerold Meyer von Knonau (1843–1931). Als Zwischenbilanz seiner Arbeiten veröffentlichte Hans Haefele 1980 in der «Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe» eine deutsche Übersetzung mit parallelem, jedoch nicht kommentiertem lateinischem Text. Aus von Arx’ Monumenta-Ausgabe schöpfte der badische Schriftsteller Joseph Victor Scheffel (1826–1886) den Stoff für seinen historischen Romans «Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert» (1855). Gustav Freytag (1816–1895) sorgte in den «Bildern aus der deutschen Vergangenheit» für weitere Verbreitung.

Während Meyer von Knonau als zeittypisch strikter Quellenkritiker auf die zahlreichen historischen Ungenauigkeiten in Ekkeharts Klostergeschichten hinwies, stehen heute ihre literarische Qualität, «die Meisterschaft der Sprache, die Lebendigkeit und Farbigkeit der Erzählung» (S. VII) sowie ihre Bedeutung für die Kultur- und die Mentalitätsgeschichte im Vordergrund. Darüber hinaus sei der Text «als ‹paradigmatisch erzählender Kommentar zur Benediktinerregel›» (S. IX) zu deuten.

Dem herkömmlichen Aufbau einer MGH-Ausgabe folgend, widmet sich Ernst Tremp zunächst Ekkeharts Biographie: Vielleicht schon um 980 geboren, dürfte er früh als Klosterschüler nach St. Gallen gekommen sein, wo Notker der Deutsche sein Lehrer wurde. Bald selbst Lehrer und Dichter, folgte um 1022 die Berufung an die Domschule in Mainz, von wo er wohl 1031 zurückkehrte. In seiner letzten Lebensphase wirkte er als «gelehrter Schulmeister, Glossator, Dichter und Überarbeiter seiner früheren Dichterwerke und nicht zuletzt als Geschichtsschreiber seines Klosters» (S. 7), in dem er an einem 21. Oktober frühestens des Jahres 1057 starb. Es folgen ausführliche Angaben zu Titel und Aufbau des Werks, zu dessen Entstehungszeit, zu Quellen und Vorlagen, zur literarischen Stellung und der Verortung im Gesamtwerk des Autors bzw. im St. Galler Ambiente, zu Ekkeharts Sprache und zu seinem erzählerischen Geschick, sowie zum Wert als Geschichtsquelle, der für Tremp aus moderner Sicht unbestritten ist.

Da sich ein Autograph Ekkeharts nicht erhalten hat, steht Cod. Sang. 615 der Stiftsbibliothek, eine um 1200 entstandene Handschrift, die die Texte Ratperts, Ekkeharts IV. und dreier anonymer Fortsetzer enthält an der Spitze der zur Gänze in St. Gallen konzentrierten handschriftlichen Überlieferung.1 Der Codex bildete bereits die Grundlage für die von Ildefons von Arx und Gerold Meyer von Knonau besorgten Ausgaben, gleichermassen für die nun vorliegende Neubearbeitung, die ihr «hinsichtlich Orthographie, Interpunktion und Textorganisation» (S. 91) weitestgehend folgt. Beibehalten wurde die von Meyer von Knonau eingeführte Einteilung in 147 Kapitel. Im wissenschaftlichen Apparat finden sich, sofern sinnvoll, abweichende Lesarten der weiteren Abschriften, Marginalen der frühneuzeitlichen Kommentatoren sowie Textabweichungen der älteren Editionen, Hinweise auf Quellenzitate und literarische Anklänge, eine enorme Zahl an Sachanmerkungen, darunter auch Erklärungen zu sprachlich schwierigen Stellen und Hinweise auf neue Forschungserkenntnisse. Die parallellaufende deutsche Übersetzung beruht auf der von Haefele 1980 veröffentlichten, sie wurde, «wo nötig, behutsam verbessert und sanft modernisiert» (S. 92).

Im umfangreichen Anhang finden sich insbesondere ein Verzeichnis der Zitate und literarischen Anklänge, des Weiteren Register der Namen sowie aller von Ekkehart verwendeten lateinischen Wörter (4500 Lemmata) und der freilich nur zwölf volkssprachlichen.

Das Resümee fällt leicht: Mit der Neuausgabe der St. Galler Klostergeschichten Ekkeharts IV. besitzt die Mittelalterforschung auf sehr lange Sicht eine mit aller Sorgfalt erstellte, höchsten Ansprüchen genügende Grundlage. Dass der Text noch heute – annähernd tausend Jahre nach seiner Entstehung – eine dank der deutschen Übersetzung auch für den Laien gleichermassen interessante, wie unterhaltsame Lektüre böte, sei nur am Rande bemerkt.

1 Digital einsehbar: https://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0615 (4. 8. 2021).

Zitierweise:
Niederstätter, Alois: Rezension zu: Haefele, Hans F.; Tremp, Ernst (Hg.): Ekkehart IV. St. Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli), Wiesbaden 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (1), 2022 S. 139-140. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00102>.

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